Bronze-Ausstellung

Jeremias Gotthelf

Lützelflüh im Emmental

Begrüssung
Es ist mir eine besondere Freude, meine Gotthelf-Bronzen in dem Dorf ausstellen zu dürfen, wo der grosse Schriftsteller einst als Pfarrer geamtet hat. Ich bin mir wohl bewusst, dass dies gar nicht selbstverständlich ist. Die Ausstellung auf dem wunderbar geeigneten Gelände hinter dem Gotthelf-Denkmal wurde nur dank der grosszügigen Einwilligung der Eigentümerin der Wiese, Frau Dr. Baumgartner, sowie den spontanen Zugeständnissen der verschiedenen Amtsstellen der Gemeinde möglich. Nachdem die Museumskommission des Gotthelfzentrums die unmittelbare Umgebung des Pfarrhauses als zu eng für meinen doch umfangreichen Figurenzyklus befunden hatte, gelang es mir, bei allen anderen Kontaktpersonen vor Ort grosse Sympathie und Begeisterung für meine Idee zu wecken, sodass ich schliesslich diese noch bessere Lösung realisieren durfte. Nichtsdestoweniger möchte ich betonen, dass ich sehr gerne mit der Stiftung Gotthelfzentrum zusammenarbeiten möchte, da so Synergien freigesetzt werden könnten, die allen nützlich wären.
Diese Ausstellung habe ich als Idealist aus meinen eigenen engen Mitteln finanziert.

Die Vorgeschichte
Manche Besucher der Ausstellung werden sich fragen, was mich wohl bewogen hat, Bildwerke nach Gotthelfs Romangestalten zu schaffen. Der Gründe sind viele. Erwähnen möchte ich hier einerseits, dass mir bei der Lektüre von Gotthelf die grosse Aktualität seiner Themen aufgefallen ist. Den Bezug zur heutigen Gesellschaft erkläre ich mit Hilfe der Tafeln, welche neben den einzelnen Werken aufgestellt sind. Andererseits gab mir dieses literarische Werk die Gelegenheit, mich meiner Leidenschaft zum Erforschen historischer Gegebenheiten zu widmen, um die Figuren so zeitgetreu als möglich und doch meiner Interpretation der Gotthelfschen Idee entsprechend gestalten zu können.

Im Lauf meiner dadurch angeregten Ahnenforschung durfte ich feststellen, dass meine Vorfahren von 1720 bis 1906 im Oberaargau ansässig waren. Mein Ur –Ur – Urgrossvater, Hansjoggeli Rötlischpärger, bewirtschaftete zu Gotthelfs Utzensdorferzeit Müller Martis Mühle zu Alchenflüh. Ich kann mir deshalb mit Fug vorstellen, dass mein Vorfahre den aufklärerischen Pfarrerssohn, der später als Pfarrer nach Lützelflüh zog, persönlich gekannt haben muss. Die Erkenntnis dieser familiären Nähe zu Gotthelf hat mich zusätzlich darin bestärkt, Gotthelfs Werk künstlerisch umzusetzen.

Die Spinne
Beim Eintreten in das Ausstellungsgelände fällt dem Besucher sofort auf, dass alle Figuren in einem weiten Bogen um eine nicht aus Bronze gegossene Spinne herum gruppiert sind. Dieses Werk, welches eine zwar eigenwillige, aber sehr symbolkräftige, Interpretation von Gotthelfs Erzählung „Die Schwarze Spinne“ zum Ausdruck bringt, hat eine besondere Entstehungsgeschichte. Anfang 2011 bestand die Gotthelf Sequenz aus 12 Figurengruppen, und ich meinte, es würde dabei bleiben. Eine Reihe von Zu-fällen aber führte mich dazu, die bekannte Geschichte über die Pest im mittelalterlichen Emmental doch noch in einem 13. Werk darzustellen. Kurz nachdem ich meinen Computer und meinen Drucker hatte entsorgen müssen, hörte ich zusammen mit meiner Frau eine dramatische Lesung der „Schwarzen Spinne“, und in derselben Woche besuchten wir noch ein Chorkonzert mit einem modernen Jedermann-Werk, sowie eine Modern Dance Darbietung, wo ein Totentanz auf dem Programm stand. Diese auffällige Kette von Darbietungen, die alle mit dem Thema des allgegenwärtigen Todes zu tun hatten, liess mich nicht mehr schlafen. Ich entwickelte noch in der Nacht der Tanzaufführung die Idee, aus Armierungseisen und den zwei unbrauchbar gewordenen elektronischen Geräten eine moderne „Pestspinne“ zu gestalten. Wir alle kennen die potentiellen Gefahren des globalen Internets. Eine Attacke darauf kann unsere Elektrizitätsnetze, Handelsströme, Finanztransaktionen, ja ganze Länder zum Stillstand bringen. Die moderne Zivilisation könnte plötzlich nicht mehr funktionieren.

Die Aktualität
Dies ist ein Beispiel, wie ein Thema einer Gotthelfschen Erzählung mit der modernen Zeit verbunden werden kann. Doch es steckt noch eine viel mächtigere Symbolik in dieser Spinne: Die Bronzefiguren auf der Wiese stehen ja für uns alle, für Alte und Junge, Hoffnungsvolle und Lebensfeindliche, Frauen, Männer und Kinder, Reiche und Arme, Gesunde und Kranke – sie zeigen verschiedene Charaktere, die alle zusammen unsere Gesellschaft ausmachen. Alle stehen mehr oder weniger gleich nahe bei der Spinne, dem allgegenwärtigen Tod, der jeden und jede einmal einholen wird. Wir können die Ausstellung von jedem beliebigen Winkel aus ansehen – die Spinne ist immer mit dabei. Die menschlichen Figuren stehen alle auf Gestellen, die aus dem gleichen Material bestehen, aus dem auch die Spinne gefertigt ist. Unser aller Existenz steht auf unsicherem Grund, wir sind, wie es Bernhard Shaw einmal ausdrückte, von der Gnade eines herunterfallenden Dachziegels abhängig. Das Bewusstsein für diese existentielle Situation aber macht jeden Tag und jede Stunde unseres Lebens erst kostbar. Es ist die ureigene Aufgabe der Kunst, uns aufzurütteln und uns zum Nachdenken anzuregen.

Die Symbolik
Alle hier ausgestellten Skulpturen machen Freude, weil sie aus dem wirklichen Leben gegriffen erscheinen und jeder Besucher und jede Besucherin ganz persönlich interessante Details an ihnen entdecken kann. Daneben aber enthält auch jedes Werk eine Botschaft, welche eine Verbindung herstellt zwischen der Welt von Gotthelf und unserer Zeit, zwischen Gotthelfs Anliegen und unseren gesellschaftlichen und individuellen Problemen.

Ich wünsche allen Besucherinnen und Besuchern viel Freude an meiner Ausstellung in Lützelflüh.
Zürich, Anfang Juli 2012 - Freddy Air Röthlisberger

 

 
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Freddy Air Röthlisberger

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